Kühle Norddeutsche, gemütliche Bayern?

Wissenschaftler_innen der Uni Jena erforschen regionale Persönlichkeitsmerkmale

Norddeutsche gelten als unterkühlt, Süddeutsche eher als gemütlich – sind Großstädter_innen weltoffen und Landbewohner_innen verstockt? Solche Vorurteile gegenüber den Bewohner_innen einzelner Regionen in Deutschland gibt es viele, zum Beispiel auch im Ost-West-Vergleich. Doch wie viel Wahrheit steckt in solchen Zuschreibungen wirklich, und wie kommt es zu diesen regionalen Persönlichkeitsunterschieden, wenn es sie denn gibt? Wirtschaftswissenschaftler_innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben nun gemeinsam mit Psycholog_innen aus Australien, Großbritannien und den USA eine Antwort auf diese Fragen gefunden: Viele der zugeschriebenen Stereotypen treffen tatsächlich zu.

*Kulturelle Unterschiede von Regionen*
Für ihre „psychologischen Landkarten“ analysierten die Forscher_innen Daten von über 73.000 Personen zwischen 20 und 64 Jahren, die an einer Online-Persönlichkeitsstudie im Rahmen des internationalen „The Big Five Project“ teilgenommen haben (http://de.outofservice.com/bigfive/). „Die Forschung zu kulturellen Unterschieden von Regionen hat dank solcher großen Datensätze in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte gemacht, so dass wir nun zum ersten Mal psychologische Landkarten für Deutschland erstellen und auswerten können“, sagt Prof. Dr. Michael Fritsch, der gemeinsam mit seinem Kollegen PD Dr. Michael Wyrwich an der Universität Jena zu dem Thema forscht. Im Fokus ihrer Arbeit standen dabei die sogenannten Big Five - das sind fünf relativ konstante Persönlichkeitsmerkmale, mit denen sich die Persönlichkeitsstruktur eines erwachsenen Menschen beschreiben lässt: Extraversion, also eine nach außen gewandte, aktive und gesellige Haltung, Verträglichkeit im Sinne von Kooperationsbereitschaft und Altruismus, Gewissenhaftigkeit, d. h. eine organisierte, sorgfältig planende und zuverlässige Haltung, Offenheit für neue Erfahrungen, die durch rege Fantasie, Wissbegierde und eine Vorliebe für Abwechslung gekennzeichnet ist sowie Neurotizismus (eine geringe emotionale Stabilität), also einer Tendenz zu Angst, Nervosität und Unsicherheit.

*Verträgliche Bayern, gewissenhafte Mecklenburger?*
Ein Blick auf die psychologische Landkarte zeigt zwar eine große Vielfalt von Eigenschaften, aber auch einige charakteristische Profile, die die oben genannten Vorurteile teilweise bestätigen. So ist zum Beispiel sichtbar, dass Süddeutsche und Großstädter, wie zum Beispiel Menschen aus Berlin, Hamburg oder München, stärker nach außen gewandt sind als etwa die Menschen, die an der Küste leben. Ähnliche Unterschiede zeigen sich auch zwischen Ost- und Westdeutschland: Das Bild vom introvertierten Ostdeutschen und der eher extrovertierten Westdeutschen wird also bestätigt. Die Verträglichkeit ist in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise weniger ausgeprägt als im südlichen Bayern, im Südwesten Deutschlands rund um Freiburg sowie auch im westlichen Sachsen-Anhalt. Im Gegensatz dazu scheinen die Bewohner_innen der Mecklenburger Seenplatte gewissenhafter zu sein als Menschen in der Region rund um die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart. Auch sind Menschen in Südwestdeutschland im Durchschnitt emotional stabiler als in Südthüringen oder in der Gegend um Bremerhaven.

Und ein weiteres Vorurteil bestätigte sich: Landbewohner_innen weisen ein geringeres Maß an Offenheit für neue Erfahrungen auf als Städter_innen. Als besonders offen haben sich die Menschen in Berlin und in den Metropolregionen um Hamburg, Köln, aber auch Leipzig und Dresden herausgestellt.

*Ost-West-Unterschiede und Wanderungsbewegungen*
Zwar fallen die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland relativ gering aus, aber wie die Landkarte zeigt, sind die Ostdeutschen im Schnitt etwas weniger extrovertiert, weniger emotional stabil und weniger offen für neue Erfahrungen als Westdeutsche.

Da wir im Laufe des Lebens auch mal den Ort verlassen, an den wir geboren wurden, haben die Forscher_innen auch unter die Lupe genommen, was dann mit unserer Persönlichkeit passiert. „Die Studie zeigt, dass Menschen, die auf dem Land geboren sind und in die Stadt gezogen sind, deutlich höhere Werte im Bereich Offenheit aufweisen, als die Menschen, die auf dem Land bleiben“, sagt Michael Wyrwich. „Bei Personen, die den umgekehrten Weg von der Stadt aufs Land gehen, sind Extraversion, Offenheit und Verträglichkeit stärker ausgeprägt, und sie sind stärker belastbar.“ Auch sind Ostdeutsche, die nach Westdeutschland ziehen, offener, emotional stabiler, gewissenhafter und extrovertierter als Ostdeutsche, die in ihrer Heimat bleiben.

*Woher kommt die "regionale Persönlichkeit"?*
Warum sich diese Eigenschaften abhängig von der Region unterschiedlich ausprägen, kann die Studie leider nicht beantworten. „Möglicherweise können wir zwar beispielsweise einen Zusammenhang zwischen einer niedrigeren Belastbarkeit und wirtschaftlich schwächeren Regionen herstellen, allerdings ist damit nicht klar, was zuerst da war“, sagt Fritsch. „Trotzdem lassen sich aus den Ergebnissen durchaus ökonomisch relevante Informationen ableiten. Wenn wir uns beispielsweise die vorherrschenden Persönlichkeitseigenschaften in einer Region mit besonders hohen Gründerzahlen anschauen, dann lernen wir beispielsweise etwas über besonders unternehmerisch geprägte Persönlichkeitsstrukturen.“ Solche und andere Analysen wollen die Jenaer Forscher nun auf Basis ihrer „psychologischen Deutschlandkarte“ weiter vorantreiben.

Die Ergebnisse ihrer Studie werden sie in der Fachzeitschrift „Psychologische Rundschau“ vorstellen.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 5. September 2018