Dreck reinigt den Magen?

Forschung: Warum hygienische Sauberkeit nicht unbedingt Krankheiten verhindert

Wenn man ältere Menschen nach ihren Kindheitserfahrungen fragt, erzählen sie oft von den schmutzigen Bedingungen, in denen sie aufgewachsen sind und dass ihnen die mangelnde Hygiene trotzdem nicht geschadet hätte. Ihr kennt ihn bestimmt alle, den berühmten Satz "Dreck reinigt den Magen". Heute sind Haushalte allerdings peinlich darauf bedacht, hygienische Sauberkeit herzustellen und Viren und Keimen den Garaus zu machen. Ein interdisziplinäres Forschungsteam vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung hat sich jetzt aber die Frage gestellt, was wäre, wenn auf unserem Körper und in unseren Häusern die gleichen Gesetze der biologischen Vielfalt wie draußen in der Natur herrschten? Wären dann unsere aktuellen Hygienemaßnahmen zur Bekämpfung aggressiver Keime nicht teilweise kontraproduktiv?

Aus der Natur wissen wir inzwischen, dass Ökosysteme wie Wiesen und Wälder mit hoher biologischer Vielfalt widerstandsfähiger sind gegenüber gebietsfremden Arten, Klimaschwankungen oder Krankheitserregern. Reduziert man diese Vielfalt, gehen grundlegende Funktionen der Lebensgemeinschaften im Ökosystem verloren. Diese sogenannte Stabilitätstheorie wurde in Hunderten von biologischen Studien belegt, die sich aber vorwiegend um die Welt der Tiere und Pflanzen drehten. Betrachtet man unseren Körper oder unser Zuhause durch ein Mikroskop, eröffnet sich eine genauso vielfältige Lebensgemeinschaft aus Mikroorganismen. Möglicherweise gelten für sie ähnliche Gesetze wie für die „großen“ Ökosysteme. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für unsere Gesundheitsvorsorge.

„Wir beeinflussen diese Mikro-Biodiversität täglich, vor allem indem wir sie bekämpfen, beispielsweise durch Desinfektionsmittel oder Antibiotika – eigentlich mit dem Ziel, die Gesundheit zu fördern“, erzählt der Ökologe Robert Dunn, Professor an der Universität North Carolina State und der Universität Kopenhagen. „Diese Eingriffe in mikrobielle Artzusammensetzungen könnten die natürliche Eindämmung von Krankheitserregern behindern“, meinen die Forscher.

Nach dem ökologischen Nischenmodell teilen sich Pflanzen oder Tiere die vorhandenen Ressourcen in ihrem Lebensraum auf, wobei Arten mit ähnlichen Bedürfnissen miteinander konkurrieren. Neu hinzukommende Arten haben es schwer, sich zu etablieren, zumindest in einem stabilen Ökosystem. Auf artenarmen oder vom Menschen gestörten Standorten können sich gebietsfremde Arten hingegen wesentlich leichter breitmachen.

Mikroorganismen bilden ebenfalls eigene Ökosysteme. Bislang sind mehr als zweihunderttausend Arten bekannt, die in unseren Körpern und um uns herum leben. Dazu kommen rund vierzigtausend Pilzarten in unseren Häusern.

„Krankheitserreger in unserem Umfeld sind vergleichbar mit invasiven Organismen in der Natur“, sagt der Ökologe Nico Eisenhauer. „Überträgt man die Erkenntnisse aus den großen Lebensräumen auf die Welt der Mikroben, muss man daher befürchten, dass unsere notorische Nutzung von Desinfektionsmitteln und Antibiotika die Ausbreitung gefährlicher Keime sogar noch erhöht, weil dadurch die natürliche Artengemeinschaft gestört wird.“ Dies wurde beispielsweise für Stäbchenbakterien der Art Clostridium difficile nachgewiesen, die Darmentzündungen mit Durchfall auslösen. Nach der Einnahme von Antibiotika konnten sie sich schneller ausbreiten. Sogenannte Nichttuberkulöse Mykobakterien (NTMs), die einen Biofilm vorrangig an Duschköpfen bilden und zum Teil Krankheiten auslösen können, kommen vor allem bei gechlortem Wasser vor. Auf metallenen Duschschläuchen können sie sich weitgehend ungehindert vermehren, während Duschschläuche aus Kunststoff, die eine reiche Gemeinschaft an Mikroorganismen begünstigen, geringere Mengen von NTMs aufweisen.

*Bakterien zur Vorbeugung?*
Bakteriengemeinschaften, die Krankheiten vorbeugen, kann man auch aktiv herstellen. So fanden etwa Forscher in den 1960er Jahren heraus, dass Babys, deren Nasen und Bauchnabel mit harmlosen Stämmen des Bakteriums Staphylococcus aureus beimpft wurden, nur selten von S. aureus 80/81 besiedelt wurden. Dieses Bakterium kann Krankheiten von Hautinfektionen bis zu lebensbedrohlichen Blutvergiftungen oder Lungenentzündungen auslösen. Ein weiteres Beispiel sind Stuhltransplantationen: Indem man eine gesunde Gemeinschaft an Mikroorganismen von Mensch zu Mensch überträgt, ist es möglich, Darminfektionen zu behandeln.

Ist unsere Angst vor Bakterien und Co. also unbegründet und ihre reflexartige Bekämpfung sogar gefährlich? „Wir sind keine Mediziner“, meint Eisenhauer. „Ich würde also mit Sicherheit keinem Chirurgen empfehlen, unsteril am offenen Körper zu arbeiten. Was allerdings Oberflächen anbetrifft, könnten gezielte Beimpfungen mit einer ausgesuchten Mikrobengemeinschaft die Ausbreitung gefährlicher Erreger möglicherweise verhindern.“

Ohnehin lösen nur sehr wenige der Mikroorganismen in unserem Umfeld tatsächlich Krankheiten aus. Das gilt auch für Insekten und andere Gliederfüßer, die in Wohnungen und Häusern in der Regel als Störenfriede betrachtet werden – allen voran Spinnen. Diese erbringen als Räuber wichtige Ökosystemleistungen indem sie Stechmücken, Bettwanzen, Schaben oder Hausfliegen dezimieren, die wiederum Krankheiten übertragen können. „Wir müssen sie nur lassen“, meint Robert Dunn.

Wo die Theorien aus der Biodiversitäts- und Ökosystemforschung auch im Gesundheitsbereich zutreffen, sollte nach Ansicht der drei Autoren systematisch untersucht werden. Eisenhauer schlägt hierzu zum einen vor, zu testen, in welcher Mikrobengesellschaft sich gängige Krankheitserreger auf Oberflächen besser oder schlechter ausbreiten können. Längerfristig soll so die ideale Artenzusammensetzung „guter“ gegen „böse“ Mikroben gefunden werden.

Nun habt ihr doch eine perfekte Ausrede, warum ihr euer Zimmer nicht mehr jede Woche putzt ;-).

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung