Wenn Umzüge zur Entwurzelung führen

Je näher die Freunde, desto stärker die regionale Identität, besagt eine neue Studie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena

Jobwechsel, Universitätskarriere oder Liebesbeziehung - warum Menschen umziehen, hat unterschiedliche Ursachen. Und so ein Wechsel des Wohnorts macht nicht immer glücklich. Denn wenn sich Menschen mit der Region, in der sie leben, identifizieren können, steigt die Lebenszufriedenheit. Aber um diese Verbundenheit herzustellen, ist die Nähe zu Bezugspersonen elementar. Das haben Psycholog_innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena nun in einer Längsschnittstudie herausgearbeitet.

„Neben beruflichem und partnerschaftlichem Erfolg ist vor allem die Verbundenheit mit dem Wohnort entscheidend für ein gelingendes Leben“, erklärt Dr. Elisabeth Borschel, die im Rahmen ihrer Dissertation die Untersuchungen durchgeführt hat. „Allerdings stehen gerade junge Erwachsene unter einem enormen Mobilitätsdruck, da von ihnen erwartet wird, dass sie – um im Leben Fuß zu fassen – auch Ortswechsel in Kauf nehmen. Das dabei entstehende Spannungsfeld haben wir uns in einer vom Land Thüringen finanzierten Längsschnittstudie genauer angesehen.“

*Skypen ersetzt nicht die persönliche Nähe*
Befragt wurden deutschlandweit über 1.000 Studierende kurz vor ihrem Studienabschluss und noch zweimal im Jahr danach. 500 von ihnen verließen ihren Studienort, eine zweite Gruppe zog nicht um. Außerdem fragten die Wissenschaftler_innen den Wohnort der wichtigen Bezugspersonen, wie Familienangehörige, Freundinnen oder Partner ab, weil sich während der Befragung herausstellte, dass die Nähe wichtiger sozialer Kontakte großen Einfluss darauf hat, wie stark man sich mit der Wohnregion identifiziert. Kurz gesagt: Je näher die Freund_innen, desto stärker war die Verbundenheit mit der Region. „Für uns ist das schon ein überraschendes und deshalb sehr erhellendes Ergebnis, da es ein wichtiges Versprechen der postmodernen Gesellschaft und des Kapitalismus widerlegt, nach dem wir Beziehungen heute im Zeitalter hoher Mobilität und moderner Kommunikationsmittel auch unabhängig von Zeit und Raum pflegen können“, sagt Prof. Dr. Franz J. Neyer von der Universität Jena. „Der Verlust persönlicher Nähe lässt sich also nicht durch Skype oder E-Mails kompensieren.“ Im Umkehrschluss bedeute das außerdem: Je größer die Distanz, desto größer die Unzufriedenheit.

*Umzug hat auch Einfluss auf die die zurück bleiben*
Allerdings bestehen auch Wechselwirkungen zwischen dem Herausbilden einer regionalen Identität und dem Entstehen eines sozialen Umfeldes. „Es ist schon ein zweischneidiges Schwert“, sagt Elisabeth Borschel. „Denn wer sich mit seiner geografischen Umgebung identifiziert, dem fällt es auch leichter, wichtige soziale Kontakte aufzubauen." Deshalb sei ein Umzug nicht immer schlimm, aber es müssten am neuen Wohnort entsprechende Rahmenbedingungen erfüllt sein, um neue Bezugspersonen zu finden. Dies sollten zum Beispiel Firmen berücksichtigen und fördern, wenn sie landesweit um Mitarbeiter_innen werben.

Der Umzug eines Menschen geht aber auch nicht spurlos an denenen vorbei, die zurückbleiben, denn deren Identifikation mit der Umgebung schwinde ebenfalls. Die Forschungsergebnisse sollten bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden, denn die räumliche Nähe zwischen Bezugspersonen habe auch Auswirkungen auf den Zustand einer Gesellschaft, so die Forscher_innen. Gäbe es mehr ökonomische Strukturförderung, die junge Menschen nicht zum Wohnortwechsel zwingen, um einen Arbeitsplatz zu finden, könnten eine Möglichkeit sein, um die Lebenszufriedenheit der Bewohner_innen dieser Region deutlich zu erhöhen.

Über ihre Forschungsergebnisse berichten die Jenaer Expert_innen im Fachmagazin „Developmental Psychology“.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 15. März 2019