Je näher, desto strenger

Studie: Mit Mitgliedern der eigenen Gruppe sind wir moralisch gnadenloser

Stellt euch eine Situation vor, bei der sich Leute moralisch daneben verhalten. Wie urteilt ihr darüber, wenn diese Leute aus eurem Freundeskreis oder eurer Familie kommen, und wie, wenn sie einer anderen, entfernteren Gruppe zugehörig sind? Wahrscheinlich geht ihr mit den euch näheren Menschen härter ins Gericht, stimmt's? Und dieses Verhalten ist laut einer neuen Studie der Cornell University auch gar nicht ungewöhnlich, denn Menschen urteilen über Mitglieder ihres eigenen Umfelds offenbar tatsächlich strenger als über Personen aus anderen Gruppen, die die gleichen Verfehlungen begangen haben. Ein zentrales Thema bei diesem Phänomen spielt allerdings die Moral, weil sie eine Art sozialer Klebstoff ist, der eine Gemeinschaft zusammenhält. Verstößt jemand innerhalb der Gruppe gegen diese moralischen Regeln, empfinden wir dies als größere Bedrohung, als wenn Angehörige anderer Gruppen dieselben Regeln in ihrer Gemeinschaft brechen.

"Wenn wir Teil einer Gruppe sind, fühlen wir eine starke Verbindung zu den Menschen in unserer Gruppe und halten sie daher für sympathischer oder vertrauenswürdiger", so Simone Tang, Assistenzprofessorin für Management und Organisationen. "Wenn jedoch jemand aus unserer Gruppe etwas moralisch Falsches tut, kann dies unsere sozialen Bindungen bedrohen und ein schlechtes Licht auf die gesamte Gruppe werfen, so dass wir ihn hart verurteilen, um die Gruppe als Ganzes zu schützen", erklärt die Wissenschaftlerin.

"Ingroups" und "Outgroups"

In sechs Studien mit 2361 Universitätsstudent:innen und berufstätigen amerikanischen Online-Community-Mitglieder erfuhren sie entweder, dass sich ein Mitglied ihrer "Ingroup" (Familie, Freund:innen oder politische gleiche Gruppe) gegenüber einer anderen Person ihrer Gruppe schlecht verhalten hatte, oder dass ein Mitglied der "Outgroup" einer anderen Person aus der Outgroup dasselbe angetan hatte. Zum Beispiel lasen die Studierenden entweder, dass ein Professor ihrer eigenen Universität andere Kommiliton:innen beleidigt hatte oder dass ein Professor der konkurrierenden Universität seine Kommiliton:innen beleidigt hatte.
Die Ergebnisse widersprachen der weit verbreiteten Meinung, dass Mitglieder einer "Ingroup" andere Mitglieder ihre Gruppe stets wohlwollender beurteilen als Mitglieder der "Outgroup". Im Gegenteil: die Menschen verurteilten das Fehlverhalten in ihrer eigenen Gruppe moralisch härter.

Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass moralische Verstöße gegenüber Mitgliedern der eigenen Gruppe, beispielsweise geschlechtsspezifische Diskriminierung, härter verurteilt wurden als nicht-moralische Vergehen, wie z. B. Unpünktlichkeit. Dies deutet darauf hin, dass Menschen sensibler reagieren, wenn der soziale Kitt der Gemeinschaft - die Moral - bedroht ist.

Für die Forscher:innen bieten die Ergebnisse eine andere Perspektive auf die derzeitig polarisierte politische Landschaft. Bezogen auf die USA kommen sie zu folgender Überlegung: "Während man allgemein davon ausgeht, dass Demokraten und Republikaner sich gegenseitig als Mitglieder einer Outgroup betrachten, legen unsere Forschungsergebnisse nahe, dass die Verteufelung der anderen Partei vielleicht deshalb geschieht, weil sie sich gegenseitig als Mitglieder einer Ingroup (hier also Amerikaner) betrachten und daher härtere moralische Urteile fällen, wenn ein anderes Mitglied der eigenen Gruppe eine gegenteilige Meinung vertritt. Wir beobachten zunehmend eine Zersplitterung innerhalb unserer Gruppen, und es ist von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wann und warum wir die Mitglieder unserer Gruppe verunglimpfen und verteufeln", erklärt Tang.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 25. Oktober 2023