Von wegen Sturm und Drang

Studie: Jugendliche sehen sich in der Pubertät selbst stabiler als ihre Eltern

Mädchen vor dramatisch bewölktem Himmel

Wenn Eltern über ihre pubertierenden Kindern sprechen, dann rollen sie gerne die Augen und malen deren Persönlichkeitsveränderungen in den schrillsten Farben. Eltern sehen ihre pubertierenden Kinder allerdings ganz anders und bewerten deren Veränderungen viel drastischer als dies die Jugendlichen selbst tun. Wenn Eltern finden, dass ihre Kinder verschlossener werden und sich stärker zurückziehen, finden diese sich selbst offen und kommunikativ. Halten die Eltern sie für instabil, fühlen sie selbst sich ausgeglichen. Zu dieser (eigentlich wenig überraschenden) Erkenntnis kommt eine Bildungsstudie der Universität Tübingen.

Die Wissenschaftler_innen untersuchten darin, wie sich die fünf Faktoren, die eine Persönlichkeit beschreiben (auch "big five" genannt), mit der beginnenden Pubertät verändern: emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Extraversion, Offenheit und Gewissenhaftigkeit. Dabei befragten sie die Jugendlichen selbst sowie deren Eltern. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem Eltern tiefgreifende Veränderungen in der Persönlichkeit von Heranwachsenden sehen. Die Jugendlichen erleben sich selbst weitaus stabiler. Während Eltern ihre Kinder zunehmend kritischer, weniger offen und zurückgezogener beschreiben, zeigen die Selbstberichte von Heranwachsenden keine dramatischen Veränderungen.

In Studien der vergangenen Jahre haben Forscher_innen immer wieder festgestellt, dass die Persönlichkeit im Laufe des Lebens immer mehr reift: wir werden gewissenhafter, verträglicher, emotional stabiler und weitgehend auch geselliger und offener für neue Erfahrungen. Aber gilt das auch für die Zeit der Pubertät?

Die Tübinger Wissenschaftler wollten genau das herausfinden. In einem Zeitraum über drei Jahre befragten sie deshalb knapp 2.800 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 10 und 14 Jahren sowie deren Eltern jeweils einmal pro Jahr. Sie wollten wissen, wie die Heranwachsenden sich anhand der Persönlichkeitsmerkmale selbst einschätzen und wie Eltern ihre Kinder einschätzen. Um die Verträglichkeit zu messen, mussten die Jugendlichen beispielsweise Fragen beantworten wie „Ich bin jemand, der andere schnell kritisiert“, zur Gewissenhaftigkeit „Ich erledige meine Aufgaben sofort“ oder zur Extraversion „Ich bin jemand, der gerne mit anderen zusammen ist“.

Neben den Unterschieden zwischen Eltern und Kindern fanden die Forscher_innen heraus, dass die Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter nicht dem typischen Bild der Reifung folgt: Die Verträglichkeit und Offenheit verringerten sich in dieser Phase.

„Überrascht hat uns, dass beim Punkt Gewissenhaftigkeit die Schüler sich selbst kritischer sehen als die Eltern das tun“, sagt Richard Göllner, Erstautor der Studie. Sie waren der Meinung, weniger leistungsbereit, diszipliniert und zuverlässig geworden zu sein. Die Eltern haben in diesem Punkt jedoch fast keine Veränderung ihrer Kinder feststellen können. Bei der Extraversion war es umgekehrt: Die Eltern erlebten ihre Kinder zunehmend weniger kontaktfreudig als diese sich selbst beurteilten. „Möglicherweise rührt das daher, dass die Eltern ihre Kinder zum größten Teil zu Hause erleben, die Jugendlichen aber ihr Verhalten in ihrem Freundeskreis im Blick haben“, erklärt Göllner.

Die Mädchen waren im beobachteten Zeitraum übrigens insgesamt verträglicher, gewissenhafter und offener als die Jungen und die Extravertiertheit stieg bei ihnen schneller an. „Das könnte daran liegen, dass typische, auch biologische Reifungsprozesse bei Mädchen früher einsetzen als bei gleichaltrigen Jungen“, mutmaßt Göllner.

Am Ende ist die Pubertät vielleicht tatsächlich die Zeit, in der die Eltern schwieriger werden und ihren Nachwuchs einfach kritischer beäugen, nur weil sie selbst auf einmal nicht mehr die Hauptpersonen im Leben ihrer Kinder sind. ;-)

Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion / Pressemeldung Eberhard Karls Universität Tübingen - Stand: 7. Juli 2016