Fahrradfahrer:innen sind näher dran

Studie untersuchte Zusammenhang zwischen dem genutzen Verkehrsmittel und dem sozialen Zusammenhalt

Foto: Luise Weber

Wer im SUV durch die Nachbarschaft cruist, kriegt nicht viel mit von dem, was um ihn herum passiert. Anders auf dem Fahrrad. Radler:innen sind mittendrin und nehmen ihre Umgebung unmittelbar wahr. Eine Studie legt nun nahe, dass das dem Gemeinwohl zugutekommt. Forschende an der FernUniversität in Hagen zeigen, dass Radfahren in Städten positiv mit der Orientierung am Gemeinwohl zusammenhängt. Hauptautor der Studie ist Harald Schuster, Doktorand im Hagener Lehrgebiet Community Psychology. Gemeinsam mit Dr. Jolanda van der Noll (FernUni-Lehrbeauftrage) und Lehrgebietsleiterin Prof. Dr. Anette Rohmann erforscht er in einem Projekt, wie das Mobilitätsverhalten von Menschen mit sozialem Zusammenhalt in Verbindung steht.

Basis ihrer aktuellen Studie waren Umfragedaten einer repräsentativen Stichprobe der deutschen städtischen Bevölkerung aus dem Zeitraum zwischen 2014 und 2019 (GESIS Panel, Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften). Der städtische Raum erschien den Forschenden als besonders aussagekräftiges Untersuchungsfeld. „Wir haben uns auf Großstädte konzentriert, weil hier viele diverse, heterogene Menschen aufeinandertreffen“, erklärt Schuster.

Insgesamt schaute sich das Team vier Aspekte von Gemeinwohlorientierung an: politische Partizipation, soziale Beteiligung an Organisationen, Nachbarschaftssolidarität und nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft. Das Team guckte dann, welche Faktoren sich besonders positiv auf diese vier Aspekte auswirkten und siehe da, das Fahrradfahren war die einzige Variable, die einen signifikant positiven Einfluss auf alle vier Aspekte hatte.

Sozialer Klebstoff

Aber worin liegen die Gründe für diesen Zusammenhang? Macht Fahrradfahren einfach gute Laune? „Nein, aber wenn ich immer nur mit dem Auto unterwegs bin, vom Fahrstuhl über die Tiefgarage in den Wagen steige, dann sehe ich vielleicht gar nicht, dass beim Nachbarn die Regenrinne kaputt ist und er Hilfe benötigt“, verdeutlicht der Psychologe seinen Erklärungsansatz mit einem Beispiel. Gerade alltägliche Begegnungen stärken das soziale Vertrauen. Und wer seine Nachbarschaft auch mal durchstreift, ohne eine Karosserie um sich zu haben, hat wahrscheinlich ganz automatisch Kontakt, bemerkt Positives oder Probleme – selbst wenn wir der Nachbarin nur beiläufig das Gartentor aufhalten, kurz beim Tragen der Einkäufe helfen oder uns über die Straße hinweg freundlich zunicken. Das Geflecht aus solchen kleinen Erlebnissen könnte auch als sozialer Klebstoff angesichts wachsender gesellschaftlicher Polarisierung wirken. Wie die Prozesse genau aussehen, das untersucht Schuster in weiteren Studien seines Dissertationsprojekts. „Meine Überzeugung ist, dass wir als Gesellschaft mit Blick auf die kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen viel Zutrauen brauchen, um nicht auseinanderzufallen“, unterstreicht er einen Kerngedanken der Community Psychology. „Der öffentliche Raum ist hierfür ein Geschenk!“

Stadtverkehr anders gestalten

Schon seit vielen Jahren macht sich Harald Schuster deshalb auch dafür stark, den urbanen öffentlichen Raum aufzuwerten: Als Vorstand des Umweltschutz-Vereins RADKOMM gehört er zum Gründungskreis von „Aufbruch Fahrrad“ – einem großen Aktionsbündnis für nachhaltigere Mobilität. Dessen Mission verlief bislang äußerst erfolgreich: Über 200.000 Menschen in NRW trugen die Volksinitiative mit ihren Unterschriften mit. Seit 2022 ist Nordrhein-Westfalen das erste deutsche Flächenbundesland mit eigenem Fahrradgesetz. Es legt fest, dass Fuß- und Radverkehr dem Kraftfahrzeugverkehr in der Straßenplanung ebenbürtig sind. Bauprojekte, die in den nächsten Jahren in NRW beginnen, müssen das berücksichtigen.

Quelle:

Was denkst du darüber?

Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 13. November 2023