Ich hab nichts, ich kann nichts?

Studie: Für wie begabt sich Menschen halten, hängt auch davon ab, unter welchen Bedingungen sie aufgewachsen sind. Vor allem Menschen aus ärmeren Verhältnissen halten sich für weniger talentiert. Diese Fehleinschätzung trägt zu ihrer weiteren Benachteiligung bei.

Haben beide Eltern studiert und das Familieneinkommen ist entsprechend hoch, dann wählen die Kinder häufig ebenfalls ein Studium. In Armut aufwachsende Kinder hingegen bleiben auch als Erwachsene eher arm. Grund dafür ist aber nicht nur der finanzielle Hintergrund, sondern auch ein sozialer. Denn Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Hintergrund (dieser Begriff meint sowohl Beruf und Einkommen als auch (kulturelle) Bildung, Wohnort usw.) werden häufig von anderen – wie z.B. ihren Lehrer:innen - als weniger talentiert eingeschätzt, was zu Diskriminierungserfahrungen beitragen kann. Aber wie fühlen sich Jugendliche selbst? Wie schätzen sie sich ein, wieviel trauen sie sich zu, für wie talentiert halten sie sich? Das haben Christina Bauer und Kolleginnen der Universität Wien und der Freien Universität Berlin in einer Studie untersucht.

Schon 14-Jährige halten sich für weniger talentiert, selbst wenn die Noten was anderes sagen

Das Team um Christina Bauer führte sechs Studien mit über 3.000 Menschen in verschiedenen Ländern durch. Das Ergebnis: Schon bei 14-jährigen Schüler:innen mit niedrigem sozioökonomischen Hintergrund wurde klar, dass diese sich für weniger talentiert halten – selbst dann, wenn sie genauso gute Noten wie ihre Mitschüler:innen vorweisen können. Diese Verzerrung der Selbstwahrnehmung bleibt nicht ohne Konsequenzen: Sie trägt dazu bei, dass sich Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status weniger wohl fühlen, wenn es darum geht "Leistung" zu zeigen und sich deshalb dort weniger einfach einbringen können. Das hat weitreichende Konsequenzen für ihre Erfolgschancen.

Fleiß-Prinzip statt Talente-Fokus als mögliche Lösung

Eine Möglichkeit, Benachteiligungen abzufedern, sehen die Forscher:innen darin, die Bedeutsamkeit von Eigenschaften wie Fleiß und harter Arbeit anstatt Talent gesellschaftlich stärker anzuerkennen. Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status halten sich nämlich für weniger begabt, aber nicht für weniger fleißig. Dementsprechend konnte das Forschungsteam in einem seiner Experimente zeigen, dass Benachteiligungen von Studierenden mit niedrigerer sozioökonomischer Herkunft beim Universitätsstudium vermindert werden konnten, wenn Fleiß statt Talent als ausschlaggebend für ihre Leistungen betont wurde. Anders war es, wenn seitens der Universität betont wurde, dass Talent besonders wichtig sei – dann war ihre Benachteiligung besonders stark ausgeprägt.

In weiteren Studien planen die Forscherinnen, sich genauer mit den Prozessen zu beschäftigen, die solche verzerrte Selbstwahrnehmungen hervorrufen. Dabei vermuten sie, dass hier Stereotype eine Rolle spielen, aber auch unterschiedliche Erfahrung mit Herausforderungen, die als Zeichen für fehlendes Talent missinterpretiert werden könnten.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 23. Juni 2023