Macht Gemüse toleranter?

Wissenschaftler_innen der Unis Mainz und Wuppertal fragten Vegetarier und Fleischesser nach ihren Einstellungen gegenüber anderen Menschen und fanden Erstaunliches heraus

Die Zahl der Menschen, die sich für eine vegetarische Lebensweise ohne Fleisch und Fisch entscheiden, wächst; immer mehr ernähren sich nur von pflanzlicher Nahrung, Milch und Eiern. Insbesondere junge Leute wählen inzwischen auch die vegane Ernährungsform, konsumieren also ausschließlich pflanzliche Produkte. Während Vegetarier_innen und Veganer_innen von vielen immer noch belächelt werden oder ihnen sogar vorgeworfen wird, sie seien verkniffen und intolerant, kommt eine neue Studie zu einem gänzlich anderen Ergebnis. Demnach neigen die Menschen, die Fleisch und andere tierische Produkte essen, nämlich eher zu Vorurteilen als "Gemüseliebhaber". Außerdem gaben sie in einer Befragung an, innerhalb von Gruppen eher autoritäre Strukturen und Hierarchien zu befürworten. Wie ausgeprägt dieser Effekt ist, hängt allerdings vom Geschlecht und vom Alter der Personen ab, so die Studie "Diet, authoritarianism, social dominance orientation, and predisposition to prejudice", die Wissenschaftler_innen des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universitätsmedizin Mainz in Kooperation mit der Bergischen Universität Wuppertal durchgeführt haben.

Gibt es Zusammenhänge zwischen den Ernährungsgewohnheiten eines Menschen und den Einstellungen dieser Person gegenüber anderen Menschen? Haben Menschen, die Fleisch und tierische Produkte konsumieren, mehr Vorurteile gegenüber anderen sozialen Gruppen und Minderheiten als Vegetarier oder Veganer? Wie ausgeprägt ist ihr autoritäres und hierarchieorientiertes Denken, also welche Haltung haben sie zu autoritären Systemen und zu sozialer Dominanzorientierung? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Studie, die unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Singer und der Psychologin Petra Veser, Daten von rund 1.400 Personen zwischen 12 bis 86 Jahren hinsichtlich deren Ernährungsgewohnheiten und sozialen Einstellungen erhoben hatte. Jeweils ein Drittel der Befragten hatte sich in der Befragung als Fleisch konsumierend (35 Prozent), vegetarisch (31 Prozent) beziehungsweise vegan (34 Prozent) bezeichnet. Die hohe Zahl von Vegetarier_innen und Veganer_innen entsprach zwar nicht der realen Verteilung in der Bevölkerung, aber die Forscher_innen wollten besonders viele Vegetarier/Veganer gewinnen, um auch von diesen Gruppen statistisch verlässliche Aussagen zu erhalten.

Ihre Befragung ergab, dass Menschen, die sich omnivor ernähren, also sowohl Getreide, Gemüse und Obst, als auch Fleisch, Fisch, Milch und Eier verzehren, eher zu Vorurteilen tendieren als vegetarisch oder vegan Lebende. Bei Männern sahen die Forscher_innen sogar einen deutlicheren Unterschied als bei Frauen. "Wir haben in unserer Studie gesehen, dass ältere Personen generell mehr dazu neigen, Vorurteile gegenüber anderen Personen zu haben. In allen Altersgruppen gab es aber einen Unterschied zwischen Vegetariern, Veganern und Omnivoren, das heißt die Ernährungsweise hing, unabhängig vom Alter, mit der Einstellung gegenüber anderen Personen zusammen", erläutert Singer. "Nach der Definition von Gordon Allport bedeutet eine solche Neigung zu Vorurteilen, dass diese Personen dazu tendieren, von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht zu denken. Zumindest haben sich diese Studienteilnehmer in dieser Weise selbst beschrieben", ergänzt Psychologin Petra Veser, die die Befragungen durchführte.

Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass Fleischkonsument_innen offenbar eher eine Neigung zu autoritären Strukturen haben als Vegetarier und Veganer dies tun. "Menschen, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, halten offenbar nicht so stark an Althergebrachtem fest, außerdem bevorzugen sie häufiger gleichwertige Beziehungen gegenüber hierarchischen", erklärt Veser. Auch diesen Unterschied fanden die Wissenschaftler_innen bei den Männern stärker ausgeprägt vor als bei den Frauen. "Die Älteren in unserer Studie bewerteten Hierarchien und autoritäre Strukturen in der Gesellschaft positiver als die Jüngeren, aber auch hier sahen wir in jeder Altersgruppe einen Unterschied, je nachdem, wie die Menschen sich ernährten", ergänzt Singer.

Die Studienergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift British Food Journal veröffentlicht.

*Nachtrag*
Diese Meldung wurde kurz nach ihrem Erscheinen in die „Unstatistik des Monats“ aufgenommen. Dabei hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Die Wissenschaftler kritisieren an der vorliegenden Studie, dass sie keinen Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität mache. "Schon bei dem Mythos, Vegetarier lebten länger als andere, hat sich die vegetarische Lebensweise als solche – Vegetarier greifen seltener als andere zur Zigarette und treiben öfter Sport – als irrelevant herausgestellt (Studie: Vegetarian diet, Seventh Day Adventists and risk of cardiovascular mortality: A systematic review and meta-analysis. International Journal of Cardiology 176(3): 680-6)." erklären sie in ihrer Pressemitteilung

Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 29. Juli 2015