Roboterkunde

Von Angelina Hermann, 14 Jahre

„Damit ein herzliches Willkommen an unseren neuen Lehrer: B5!“
Der Applaus, mit dem eben dieser zu ihrer Direktorin auf das Podest stieg, konnte nur als tosend bezeichnet werden. Zufrieden stimmte auch Frau Kimpler, die ihrem Angestellten erst auf die Schulter klopfte, ein. Wenige Sekunden später wurde der Saal still. Nur einige Kinder unterhielten sich im Flüsterton. Kim interessierte sich nicht sonderlich für das Geschehen vorne. Was ihre Mitschüler sich erzählten, begeisterte sie eher. Solche Vorstellungsgespräche führte heute beinahe jedes Geschäft im Umkreis. Immer wurde eine gewisse Toleranz ausgesprochen, und die Maschinen anschließend für ihren Einsatz belohnt. Denn sie waren es. B5 zum Beispiel trug ein normales weißes Hemd, eine schwarze Hose und polierte Schuhe. Doch unter dem durch die Scheinwerfer beleuchteten Oberteil erkannte man deutlich graues Metall und fast unsichtbare Hebel. Zwanzig Minuten später saß Kim zusammen mit ihren Mitschülern in einem der hässlichen Klassenzimmer ihrer Schule. B5 stand vor dem Lehrerpult, hantierte mit seinen Händen und begann schließlich, monoton zu sprechen. Einige Jungen in der vordersten Reihe kicherten, andere schreckten zurück. Kim gehörte keiner dieser Parteien an. Sie fand es spannend, einen Roboter als Lehrer zu haben- und doch waren die Maschinen noch in der Testphase.
„Guten Tag, Kinder. Wie eure Ohren hoffentlich vernahmen, bin ich ab heute euer Mathelehrer. Spitzet euer Hörorgan, wie in Herr der Ringe.“ Er sah sich Beifall heischend um. Als niemand lachte, seufzte er kurz: „Ihr seid schon wieder die unlustigste Klasse, oder? Natürlich muss der gefühlslose Roboter herhalten, weil der hält das ja aus. Ich werde jetzt den Raum verlassen, und meinen Witz an den anderen Kindern austesten. Wartet hier!“
Völlig perplex starrten beinahe alle Schüler auf die offene Tür. Nur zwei, die offensichtlich eingeschlafen waren, bekamen davon nichts mit. Zwei Minuten später betrat der Roboter erneut dem Raum. Er wirkte todtraurig und wischte sich imaginäre Tränen vom Gesicht, welches einen leichten Grauschimmer und am Hinterkopf einen Chip besaß, ansonsten aber normal war.
„Ihr hattet ja so recht. Ein gefühlsloser Roboter.“, murmelte B5. Dann hob er seinen Kopf und rief durch den Raum: „Hey! Redet ihr nicht so? So voll cool? Ja, voll geil!“
Das letzte Wort sorgte für Gelächter, durch welches die Schlafmützen aufwachten.
B5 wirkte glücklich und sprach weiter: „Jetzt weiß ich, wie ich spreche. Okay, Bros und Sis´. Lasst uns mit Mathe starten. Erste Reihe Platz 5: Was sind 2+2?“
Das Mädchen schien leicht verwirrt: „Ähm, Herr B5? Wir sind in der 7ten Klasse.“
Ihr Lehrer wirkte nicht so, als würde ihn das interessieren. Er zuckte die Schultern: „Beantworte die Frage!“
Seine Schülerin nickte und sagte (wobei sie sich das Lachen verkneifen musste): „4.“
B5 nickte kurz und ließ seinen Blick durch die Klasse schweifen: „Alle der Meinung, Kids?“
Er wartete 20 Sekunden. Dann schüttelte ihr Lehrer den Kopf und murmelte: „Och, schon wieder eine Klasse, die keine Ahnung hat. Völlig falsch, Sis 1. Die richtige Antwort wäre natürlich 1 gewesen. Von wo kommt ihr her?“
Jetzt drang aus jeder Ecke Gelächter. Kim war verunsichert. Wollte der Roboter ihnen gerade wirklich versichern, dass sie ihr Leben lang falsch unterrichtet worden waren?
Unsinn! Andererseits: Er war der Lehrer.
Sie meldete sich. B5 zog eine Augenbraue hoch, nickte ihr aber trotzdem zu.
„Sir? Ich weiß ja nicht, nach welchem System Sie gehen, aber bei uns sind das 4.“
Ihr Lehrer schlug sich mit der Hand gegen die Stirn, wodurch ein blechernes Geräusch die Klasse erschreckte, und murmelte: „Aber natürlich, diese Primitivlinge rechnen ja so. Grausam! Wir sind die Maschinen, wir wissen alles. Wie Joda. Aber wir können uns besser artikulieren. Wer möchte schon sein Leben lang Sätze verdrehen? So versteht Joda doch auch niemand.“
Einige Jungen grinsten, der Rest der Klasse wirkte teils verunsichert, teils verärgert. Die 7a bestand nicht aus Primitivlingen! Was auch immer das heißen sollte.
Letzten Endes kamen sie zu dem Schluss, dass der Lehrer ihnen seine Art Mathe beibrachte. Wahrscheinlich würden alle dafür Ärger bekommen, aber die Antwort war immer nur 1. Viel besser als auszurechen wie viel 799x1898 waren, war es doch, 1 hinzuschreiben- es vereinfachte Mathe ungemein, erklärte B5.
Zwei Wochen später schrieb die Klasse ihre erste Arbeit und niemand hatte bis zu diesem Zeitpunkt daran gedacht, dass ein anderer Lehrer mit korrigierte.
So saß die Klasse einige Tage später auf ihren Plätzen, als Frau Kimpler den Raum betrat.
„Dürfte ich Sie kurz sprechen, B5?“, murmelte sie und blickte vielsagend zur Tür.
Ihr Lehrer folgte den Augen der Schulleiterin und nickte höflich: „Wollen Sie mir einen anderen Namen vorschlagen? Ehrlich gesagt denke ich seit ein paar Tagen daran. Irgendetwas Cooles, wie Mike. Das klingt kreativ!“
Frau Kimpler wirkte verunsichert, fing sich aber schnell wieder. Auf ihren Absätzen stöckelte die Lehrerin zu ihrem Angestellten und zischte: „Vor die Tür, Mike!“
Das letzte Wort kam notgedrungen aus ihrem Mund und so nickte B5 nochmals, drehte sich lächelnd zu den Kindern um und erklärte fröhlich: „Kinder, bin gleich wieder da. Muss nur kurz etwas klären. Redet gerne mit euren Sitznachbarn, aber leise!“
Zwei Minuten später konnte man deutlich die wütende Stimme Kimplers hören. Mike warf zwischendurch einige Dinge ein, aber die brachten seine Gesprächspartnerin nur noch mehr in Rage.
„Sie haben nach ihrem System versucht, ihnen Mathe beizubringen? Ja, ist das hier denn ein Wunschkonzert? Wegen Ihnen, Mike hat jeder einzelne Schüler eine 6. Wie meinen Sie, sieht das für mich aus? Der Staat hat mich gefragt, was ich denn für Lehrer hätte und wo ich so darüber nachdenke: Sie sind gefeuert. Die Gemeinde sagte wir sollen euch einstellen, aber ich kann euch auch entlassen. Also packen Sie ihren Krempel, und dann verschwinden Sie!“
B5 versuchte noch zu wiedersprechen, aber Frau Kimpler zog ihn regelrecht durch den Türrahmen.
Die KI drehte sich zu den Kindern um und in diesen Moment erkannte Kim, dass in ihren Augen Tränen schimmerten.
„Halt!“, schrie sie durch den Raum.
Ihre Rektorin fuhr herum und brüllte: „Was ist denn jetzt hier los? B5 ist gefeuert, Kim. Wir haben in der letzten Zeit 5 Maschinen eingestellt und unser Gesamtnotendurchschnitt ist deutlich gesunken. Alles durch dieses ... Metall!“
Kim holte tief Luft und brach das Geschrei ab: „Entschuldigen Sie bitte vielmals, aber ist das nicht die Schuld des Entwicklers? Kann er die Men... Maschinen nicht ... äh ... aufrüsten? Und bis dahin sind sie halt in der Ausbildung.“
Ihre Lehrerin seufzte: „Kim, wir haben Lehrermangel. Was meinst du, wieso ich KIs eingestellt habe? Sie kriegen kein Geld und sind immer zufrieden. Verrät´s du mir vielleicht, wo ich Lehrer herbekomme?“
Eine der anfänglichen Schlafmützen schrie: „Ja, woher sollen wir das denn wissen?“
Sein Bruder, der zwei Plätze weiter saß, starrte ihn konfus an, dann erzählte er mit ruhiger Stimme: „Das Gymnasium Meier ist gerade pleite gegangen. Viele Lehrer sind arbeitslos geworden. Vielleicht finden Sie dort ein paar Qualifizierte?“
Frau Kimpler schien geradezu geschockt über das Engagement ihrer Schüler. Sie schluckte ein paar Mal, bis ein Lächeln über ihr Gesicht huschte: „Nun, diese Klasse ist ... erstaunlich, aber ich werde ... darüber nachdenken. Vielen Dank!“
Die Schulleiterin wandte sich an B5: „Mike, Sie sind wieder eingestellt. Die Unannehmlichkeiten tun mir leid!“
Der lächelte fröhlich: „Kein Problem. Ich liebe diese Arbeit! Und Mr. Gates ist bestimmt auch sehr erfreut über die Sache. Er lässt sich gerne vom Staat bezahlen.“
„Das mit dem Binärsystem habe ich verstanden. Nochmals, ich entschuldige mich.“
„Machen Sie sich keinen Kopf. Alles vergessen. Eine Aufgabe kann ich aber ausrechnen. Ich kenne das Ergebnis von 799x1898.“
Fünf Minuten später verließ Frau Kimpler in Hochstimmung den Raum.
Kim achtete darauf, dass ihr Gesicht beim Rausgehen nicht auf den riesigen Zettel in ihrer Hand fiel. Das hätte Ärger gegeben!
ENDE

Autorin / Autor: Angelina Hermann