Trau, schau lieber nur mir selbst

Forschung: Gehirn schätzt selbst konstruierte "Lückenfüller" als vertrauenswürdiger ein als reale Sinneseindrücke

Jeder Mensch nimmt die Welt und was in ihr passiert auf sehr individuelle Weise wahr. Nicht immer entspricht unsere Wahrnehmung dabei der Realität. Das ist bekannt. Forscher_innen der Unversität Osnabrück haben nun aber die überraschende Erkenntnis gewonnen, dass wir selbst dann lieber auf unsere eigene Wahrnehmung bauen, wenn uns andere verlässliche Informationen vorliegen.

Herausgefunden haben die Wissenschaftler_innen das mit einem Experiment, in dem mit dem sogenannten blinden Fleck des Menschen gearbeitet wurde. Als blinder Fleck wird eine Stelle im Auge bezeichnet, an der der Sehnerv auf die Netzhaut trofft und an der keine Sehzellen vorhanden sind. Wir sehen also tatsächlich einen Teil der Wirklichkeit nicht, das fällt uns aber gar nicht weiter auf, weil entweder das andere Auge den Bereich abdeckt oder unser Gehirn diese Lücke einfach mit Informationen auffüllt, die es aus den benachbarten Bereichen zusammenstrickt. »Dieses Vervollständigen durch das Gehirn, auch als ‚filling-in‘ Effekt genannt, ist zwar ausreichend im Alltag, aber sonst grundlegend unzuverlässig. Faktisch kommen keine direkten visuellen Informationen von der Außenwelt im Gehirn an«, so der Kognitionswissenschaftler Prof. König. »Doch ob wir uns überhaupt bewusst sind, dass so eine Information nicht vertrauenswürdig ist, war bisher vollkommen unklar.«

In der aktuellen Studie sollten 100 Testpersonen auf einem Bildschirm von zwei Kreisen einen auswählen, der durchgängig getreift ist. Auch wenn der eine Kreis in Wirklichkeit gar nicht vollständig gestreift war, sondern in der Mitte eine Lücke hatte, nahmen die Testpersonen dank des "filling-in-Effekts" beide Kreise als vollständig wahr.

»Wir hatten angenommen, dass die Probanden, da sie ja vom Blinden Fleck nichts wussten, sich gleich häufig für den einen und den anderen Kreis entscheiden, oder aber bevorzugt den lückenlosen, wirklich durchgängig gestreiften auswählen würden,“ erklärt der Erstautor Benedikt Ehinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück. Herausgekommen ist aber genau das Gegenteil: »Die Probanden wählten bevorzugt den Kreis aus, der teilweise im blinden Fleck angezeigt wurde, also nicht den, den sie tatsächlich zu hundert Prozent sehen konnten. Das war ein verblüffendes Ergebnis.«

Das bedeutet, dass das Gehirn - wenn es denn die Wahl zwischen zwei verscheidenen Sinneseindrücken hat, den bevorzugt, den es selbst produziert hat, statt dem Glauben zu schenken, den es tatsächlich gesehen hat. 

Für die Forscher_innen stellen sich nun weiterführende Fragen. Lässt sich dieser Effekt auch bei anderen Sinneseindrücken beobachten? Stuft das Gehirn die subjektive Wahrnehmung immer als vertrauenswürdiger ein? Wohlgemerkt: »Im Alltag dürfte uns der Blinde Fleck nicht zu bedeutenden Falschinformationen führen, zumal meist beide Augen geöffnet sind. Aber, dass subjektive Wahrnehmung bezüglich der Vertrauenswürdigkeit manchmal über die Wirklichkeit gestellt wird, sollte genauer untersucht und beachtet werden«, so der Osnabrücker Kognitionswissenschaftler Prof. König.

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Autorin / Autor: Pressemeldung Universität Osnabrück / Redaktion; Grafik: Universität Osnabrück - Stand: 2. Juni 2017