Was ein Selfie zu sagen hat

Bamberger Wissenschaftler:innen untersuchten tausende Reaktionen auf Selfies und erstellten ein Kategoriensystem

Selfies sind keine neue Erfindung der Social Media-Welt, schon seit Jahrhunderten nutzen Menschen Selbstporträts, um etwas über sich selbst mitzuteilen. Nur in unserem Smartphone-Zeitalter ist das natürlich tausendfach einfacher als je zuvor. Aber wie genau werden sie eigentlich zur Kommunikation genutzt, und wie nehmen andere Personen Selfies wahr? Das untersuchte jetzt Tobias Schneider, Doktorand an der Bamberger Graduiertenschule für Affektive und Kognitive Wissenschaften. Er ist Hauptautor einer Studie der Universität Bamberg, die diese Forschungslücke schließen will. Die Wissenschaftler:innen haben dafür tausende von Reaktionen auf rund 1.000 Selfies gesammelt und kategorisiert. Entstanden sind daraus fünf sogenannte semantische Profile, in die sich Selfies einteilen lassen.

Für ihre Studie erstellten die Forscher:innen einen Selfie-Datensatz mithilfe der Datenbank Selfiecity. Dabei verwendeten sie ausschließlich Selbstporträts ohne Text, die mit einer Handykamera mit den eigenen Händen oder einem Selfie-Stick aufgenommen wurden. Die 1.001 Selfies wurden in einer Standardgröße auf einem einfarbigen grauen Hintergrund präsentiert. Anschließend präsentierten die Wissenschaftler:innen 132 Teilnehmer:innen 15 zufällige Selfies online und baten sie, ihre spontanen Reaktionen zu jedem Bild in fünf Begriffen festzuhalten. Die Forscher:innen verarbeiteten diese Daten und fassten die ersten Eindrücke in 26 feine Kategorien zusammen. Anschließend analysierten sie, wie häufig diese Kategorien in den Antworten vorkamen und ob sie gemeinsam auftraten.

Ergebnis: Fünf semantische Profile

Diese Analyse ergab fünf verschiedene Cluster von Kategorien, in die sich Selfies einordnen lassen. Oder wie die Autor:innen sie nennen: „semantische Profile“:

1. „Ästhetik“: Das größte Cluster enthält Bilder, die bei den Befragten Assoziationen zu Stil oder ästhetischer Erfahrung hervorriefen.
2. „Imagination“: Das zweitgrößte Cluster zeigt Bilder, die die Befragten dazu verleiteten, sich in die Person hineinzuversetzen, um sich vorzustellen, was die Person auf dem Selfie gerade machte und wie sie sich dabei fühlte.
3. „Charakterzug“: Das drittgrößte Cluster bezieht sich auf Bilder, die persönlichkeitsbezogene Begriffe bei den Befragten hervorriefen.
4. „Gemütszustand“: Das Cluster kommt zwar insgesamt seltener vor, dennoch lösten immer noch beachtlich häufig Bilder bei den Befragten Assoziationen zum Gemütszustand der auf dem Selfie abgebildeten Person aus.
5. „Theorie des Geistes“: Einige Bilder veranlassten die Befragten dazu, Vermutungen über die Motive oder die Identität der gezeigten Person anzustellen.

„Die semantischen Profile stehen jeweils für eine ganz eigene Art der Botschaft, die mit den Selfies verbunden ist“, erläutert Tobias Schneider. „Die Cluster sind wie Archetypen der Kommunikation im digitalen Zeitalter zu verstehen.“ Laut den Forschenden haben sie dadurch jetzt einen besseren Einblick, welche Bedeutung die Menschen verschiedenen Selfies zuschreiben. Außerdem zeigten die Ergebnisse, dass die Befragten auf die visuelle Sprache der Selfie-Ersteller:innen reagieren, um verschiedene Aspekte von sich selbst zu kommunizieren – sei es ihre schlechte Laune oder ihr tolles Outfit. „Das zeigt, dass wir nicht zwingend Worte brauchen, um ganz spezifische Nachrichten über uns selbst an die Außenwelt zu senden“, sagt Schneider.

Perspektivwechsel

Frühere Studien beschäftigten sich hauptsächlich damit, wie Selfies hinsichtlich visueller Merkmale oder begleitender Hashtags auf Social Media Plattformen bewertet werden. Die aktuelle Studie wechselt dagegen die Perspektive und wendet sich den Betrachter:innen zu und dem, was ihnen in den Sinn kommt, wenn sie ein Selfie anschauen. „Wir haben untersucht, was Selfies mit den Betrachterinnen und Betrachtern machen und welche Absicht sie hinter den Selfies erkennen“, so Prof. Dr. Claus-Christian Carbon, Seniorautor der Studie und Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg.

Die Wissenschaftler:innen warnen jedoch vor der Einschränkung, dass die semantischen Profile möglicherweise nicht weltweit auf die gleiche Weise ausgedrückt oder verstanden werden könnten, es sei also weitere Forschung erforderlich. „Wir brauchen in Zukunft auf jeden Fall größere, vielfältigere und kulturübergreifende Stichproben, um ein Bild davon zu bekommen, wie verschiedene Gruppen und Kulturen Selfies als kompakte Kommunikationsform nutzen“, sind sich die Autor:innen einig. Zudem planen sie für die Zukunft, ihre Forschung so auszuweiten, dass sie beide Perspektiven – die der Selfie-Ersteller:innen und jene der Rezipient:innen – einbeziehen können. Damit wollen sie herausfinden, ob die beabsichtigte Nachricht der Person auf dem Selfie auch in dieser Weise bei den Personen ankommt, die das Selfie betrachten.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 7. November 2023