Wer verdächtigt wird, scheint uns verdächtig

Neurokognitive Studie zeigt: Auch unsichere Informationen über eine Person hinterlassen einen Eindruck.

„Angeblich“, „mutmaßlich“ oder „wird verdächtigt“. Wer solche Ausdrücke in Nachrichten hört oder liest, der soll darüber informiert werden, dass eine Information nicht sicher ist. Diese Begriffe haben sogar eine juristische Funktion und sollen falsche Beschuldigungen, Vorverurteilungen und Verleumdungen verhindern. Aber was passiert eigentlich in unseren Gehirnen, wenn wir so etwas hören? Beeinflussen solche Ausdrücke das Bild, das wir uns von einer Person machen? Nehmen wir die Unsicherheit der Information so wahr, dass wir kein vorschnelles Urteil fällen?

Neurokognitive Studien zur Personenbeurteilung zeigen, dass dies leider nicht automatisch der Fall ist. Um diesen Fragen nachzugehen, haben Wissenschaftler_innen um Prof. Dr. Rasha Abdel Rahman von der Humboldt-Universität zu Berlin die Gehirnaktivität von Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmern mittels eines Elektroenzephalogramms (EEG) erfasst, während sie Informationen mit negativen oder vergleichsweise neutralen Inhalten zu zuvor unbekannten Gesichtern erwarben. Die negativen Informationen wurden entweder verbal als sicher markiert (zum Beispiel „Dieser Mann hat seinen Lehrling tyrannisiert“) oder mit Hilfe von Ausdrücken wie zum Beispiel „man sagt“, „es wird vermutet“, „ihm wird nachgesagt“, „es wird behauptet“) als unzuverlässig markiert (zum Beispiel „Dieser Mann hat angeblich seinen Lehrling tyrannisiert“).

*Die Emotionen bleiben, auch wenn die Information als unsicher erkannt wird*
Ein erstes Experiment erwies, dass sowohl die spontane Sympathieeinschätzung als auch die direkte Beurteilung der Personen anhand der gegebenen Informationen stark vom negativen Gehalt der Information beeinflusst wurden. Ähnliche Effekte zeigten sich auch im EEG. Die deutliche Modulation von Gehirnaktivität spiegelt die emotionale Beurteilung der Personen wider. Obwohl Kontrollaufgaben zeigen, dass die verbal markierte Unzuverlässigkeit erfasst und die Wahrscheinlichkeit der negativen Informationen als entsprechend unsicherer eingeschätzt wurde, hatte dies weder auf die emotionalen Reaktionen noch auf die negativen Urteile einen mildernden Einfluss: die Urteile fielen auch dann negativ aus, wenn sie auf unsicherer Information basierten.

*Das Gleiche gilt für positive Einschätzungen*
In einem zweiten Experiment konnten diese Befunde wiederholt und auf positive unzuverlässige Information erweitert werden (zum Beispiel: „Angeblich hat er seine Ersparnisse für Schulkinder im Krisengebiet gespendet“). Die Personen wurden als sympathisch eingeschätzt und positiv beurteilt, wiederum einhergehend mit einer Modulation der Gehirnaktivität, die eine emotionale Beurteilung reflektiert, und wiederum hatte die Zuverlässigkeit der Informationen keinen modulierenden Einfluss auf das Urteil.

Die Ergebnisse zeigen, dass wir dazu tendieren, Personen selbst dann stark emotional zu beurteilen, wenn dieses Urteil wissentlich auf einer unsicheren Informationslage beruht. Ähnlich wie in Situationen des echten Lebens, wurden die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht explizit dazu aufgefordert, die emotionalen Inhalte aktiv zu unterdrücken oder sich bewusst mit den Auswirkungen von Gerüchten auseinanderzusetzen, sondern waren frei in ihrer Entscheidung, die Hinweise auf die fragliche Zuverlässigkeit der Informationen zu nutzen, um ihre Beurteilungen ins rechte Licht zu rücken.

In künftigen Studien soll nun untersucht werden, unter welchen Umständen die Unzuverlässigkeit solcher Informationen über eine Person  berücksichtigt wird, um unsere emotionalen Reaktionen und Urteile zu regulieren.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung